„Kerbschnitt, auch Keilschnitt genannt, eine seit der urgeschichtlichen Zeit verwendete Verzierung durch Einstiche, Kerben. Das Ornament wird hierbei durch schräge, scharfkantig aufeinandertreffende Einschnitte aus der Fläche herausgenommen. Dadurch entsteht ein farbenreicher, durch Licht- und Schattenspiel bewirkter Eindruck.
Die ursprüngliche Ebene der Grundlage verschwindet, so dass häufig nur die eingeschnittenen Muster zurückbleiben, deren Schrägseiten im abwechselnden Spiel von Licht und Schatten kräftige Effekte hervorrufen. Der Kerbschnitt wurde seit jeher bei Holz angewendet, seit dem Neolithikum in Vorderasien und Europa immer wieder bei der Keramik..." (Zitat aus: Lexikon der Kunst, Leipzig: Seemann 1991)
- Aus Korea sind uns aus der Koryo - Periode (916 - 1238) Gefäße mit Seladon - Glasur bekannt, die vertikalen Kerbschnitt aufweisen.
- Aus China sind aus der Song – Periode (960 - 1279) Gefäße mit Seladon - Glasur und Kerbschnitt bekannt.
- Siegburger und Raerener salzglasierte Steinzeuggefäße weisen ab dem 16. Jahrhundert Kerbschnitt - Verzierungen auf.
Unsere früheste Bekanntschaft mit Kerbschnitt resultierte aus dem „Töpferbuch" von Bernard Leach. Dort wird der senkrechte Kerbschnitt nach dem japanischen Werkzeug Kanna als Kannelierung bezeichnet. Leach, aber vor allem sein Sohn David Leach, haben diese Technik besonders an ihren Teekannen meisterhaft und sehr lebendig verwendet. Diese Art der senkrechten Verzierung durch Kerben (14) haben wir seit den frühen 70er Jahren des letzten Jahrhunderts auf unseren Schalen ausprobiert und zusätzlich auf schollenförmigen flachen Gefäßobjekten in die horizontale Welle übertragen (15). Unser Beitrag für den Concorso internazionale della Ceramica d´Arte in Faenza/Italien zeigte schon 1979 eine Gruppe von fünf Schalen mit horizontalem wellenförmigem Kerbschnitt mit Feldspatglasur. 1979 oder 1980 sahen wir dann im Keramikmuseum in Faenza eine Sonderausstellung des dänischen Keramikers Axel Salto (1889 - 1961) mit einer Reihe von Schalen, die ein sehr präzises und ebenmäßiges Kerbschnitt - Muster aufwiesen. Diese Ausstellung machte uns Mut, den bereits eingeschlagenen Weg fortzusetzen.
Im Laufe von über 35 Jahren haben wir dann den Kerbschnitt in allen seinen Variationen und vielen Mustervarianten erprobt und weiterentwickelt (19). Der mehr oder weniger scharfkantigen unterschnittenen Variante (12) fügten wir schon sehr früh eine Version hinzu, bei der ein zwischen zwei senkrechten Einkerbungen stehen gebliebener Steg mit viel Flüssigkeit und mit dem Finger oder Schwamm zu einem runden konvexen Musterstreifen geformt wurde. Diese abgerundete Variante (4,10) wurde durch den Prozess des Auswaschens relativ rau in der Oberfläche. Der weiche Ton wurde ausgewaschen und die rauen Bestandteile wie Quarzsand oder Schamotte kamen an die Oberfläche. Lediglich bei glasierter Keramik ging dieser Effekt teilweise verloren.
Nur sehr wenige Stücke wurden von uns zwischen 1985 und 1988 in der sehr aufwändigen Technik des Reliefschnitts gefertigt (1). Diese Technik schafft gewissermaßen drei verschiedene Ebenen der Oberfläche. Einmal die Minus - Ebene durch den Einschnitt in die Wand die mit dem Kerbschnitt vergleichbar ist. Dann die Null - Ebene, die ursprüngliche Oberfläche der Keramik. Die dritte Ebene wird mit einem flachen Werkzeug oder Spatel aus der Null-Ebene quasi hervorgequetscht oder gepresst zu einer Plus - Ebene.
In den 1990er Jahren wurde unsere Kerbschnitt - Technik mehr und mehr scharfkantig und die beiden Einschnitte wurden fast rechtwinklig gesetzt (7,16). Das Ergebnis war ein relativ regelmäßiger präziser Kerbschnitt, dessen Oberfläche in mehreren Arbeitsgängen noch zusätzlich geglättet wurde.
Die großen Vorratsgefäße und Bodenvasen dieser Zeit waren die Mittelpunkte unserer damaligen Ausstellungen.
Eine weitere Variante, die man ebenso zu den Kerbschnitt - Techniken rechnen kann, ist der Spiralschnitt (5,8). Dabei wird mit einer aus Federstahl gedrehten Spirale eine dicke Gefäßwand beschnitten. Die Schnittfläche erscheint als wellenförmige, lebendige Struktur. In unserer Werkstatt wurden sowohl Platten als auch Stangenvasen und Dosen mit dieser Technik bearbeitet. In den letzten Jahren wurden Tonfladen mit der Spirale geschnitten und anschließend zu großen Platten oder Schalen durch dehnen und stauchen geformt (20). Die vielen Möglichkeiten dieser Technik sind bei Weitem noch nicht ausgeschöpft.
Eine weitere Variante ist der konkave gerundete Kerbschnitt (11,18). Er wurde ebenfalls in den letzten Jahren (vor 2006) angewendet. Von Einschnitt zu Einschnitt wurde eine leicht eingebuchtete, meist breitere Fläche geformt. Sie wurde in unserer Werkstatt nur vertikal ausgeführt, also nicht zu einem komplexen Ornament geformt.
Letzendlich haben wir zwischen 2004 und 2008 an einer völlig neuen Variation des Kerbschnitts experimentiert, an einer zweifarbigen Variante mit aufgelegtem andersfarbigen Ton (2,3,9,17).
Auch ein Stempelmuster oder Rollstempelmuster kann Kerbschnitt erzeugen, nämlich wenn der Stempel mittels Kerbschnitt sein Muster erhalten hat. Wir haben diese Technik vereinzelt bei größeren Platten oder Schalen angewendet (6).
In vielen Fällen wurde der umgekrempelte Standfuß unserer Gefäße mittels eines kerbgeschnitzten Holzpaddels verziert (13).
Fast immer sind unsere mit Kerbschnitt bearbeiteten Keramiken nicht ganzflächig mit dieser Technik versehen. Zumeist wird am oberen Rand und am Fuß ein Bereich freigelassen. Dadurch wirkt die Verzierung aufgesetzt, also nicht organisch mit der Form verbunden. Dieser Effekt ist bewusst eingesetzt und entspricht dem Freilassen des Fußes oder anderer Bereiche unserer früheren Gefäße vom Glasurauftrag. So wird der Blick einerseits auf die Struktur und Farbe des Tons gelenkt, andererseits wird das Ornament und seine Wirkung durch Licht und Schatten zusätzlich betont.
Harry Koll und Sabine Steinbock